Produkt Compliance Studie 2020: Resultat offenbart dramatische Risiken

Inhaltsverzeichnis

Als Service-Angebot für ihre Kunden hat die trinasco GmbH einen Fragenkatalog entwickelt, mit dem Unternehmen ihr Produkt Compliance Risiko einschätzen können. Eine Auswertung der anonymisierten Ergebnisse zeigt dramatische Defizite. Lesen Sie hier die Ergebnisse unserer innovativen Untersuchung.

Produkt Compliance Management

Gutes und effizientes Produkt Compliance Management ist heute eine sehr komplexe Aufgabe. Es erfordert sowohl eingespielte Prozesse und klare Verantwortungen als auch professionelle und vor allem kooperative Lieferanten. Ob Hersteller, Importeure oder Handelsunternehmen: Die überwiegende Auslagerung der Produktions- und Entwicklungs-Aktivitäten nach Asien, die Dynamik technologischer Veränderungen und die immer kürzeren Lebenszyklen vergrößern bei allen Unternehmen das Risiko, die vielfältigen und ständig steigenden rechtlichen Anforderungen nicht oder nur zum Teil zu erfüllen.

Wie groß das Risiko für die einzelnen Firmen dabei ist, lässt sich mit einer Reihe von Fragen analysieren. Zu diesem Zweck haben wir, die Produkt Compliance Experten der trinasco GmbH einen Fragenkatalog von 13 Fragen entwickelt und Besucher unserer Homepage dazu eingeladen, diesen Produkt Compliance Quick Check zu beantworten. Eine positive Beantwortung der Fragen weist auf ein strukturiertes und effizientes Produkt Compliance Management hin. Die 13 Fragen orientieren sich an konkreten gesetzlichen Anforderungen, wie sie beispielsweise im Produktsicherheitsgesetz formuliert sind oder sich aus den zahlreichen europäischen Richtlinien und Verordnungen ableiten lassen (z.B. EMV-Richtlinie, Niederspannungs-Richtlinie, RoHS-Richtlinie, Ökodesign-Richtlinie, Spielzeugrichtlinie, REACH, WEEE, …).

Natürlich spiegeln die 13 Fragen nicht alle Facetten und Aufgaben eines guten Produkt Compliance Management-Systems wider und sind daher auch nicht umfassend. Sie geben jedoch einen guten ersten Einblick in die aktuelle Situation des jeweiligen Unternehmens und deren potentielle Defizite.

13 Fragen zur Ermittlung des Produkt Compliance Risikos (Produkt Compliance Quick Check)

Folgende 13 Fragen sollten die Unternehmen beantworten:

Nr.Fragestellung des Produkt Compliance Quick Check
1Haben Sie für alle Ihre Produkte aktuelle und vollständige Bill-of-Materials (BOM) und Bill-of Substances (BOS)?
2Kennen Sie für Ihre Produkte alle relevanten nationalen und europäischen Vorschriften?
3Haben Sie sich im letzten Jahr über alle Änderungen der Vorschriften und Normen informiert?
4Erhalten Sie von Ihren Lieferanten Testberichte mit den jeweils aktuellen Normen?
5Überprüfen Sie die produktspezifischen Dokumente Ihrer Lieferanten (Testberichte, Zertifikate, Bill of Materials etc.)?
6Erhalten Sie von Ihren Lieferanten Identitätsbescheinigungen?
7Sind Anforderungen an die Konformität der Produkte in Ihren Lieferantenverträgen abgebildet?
8Erhalten Sie von Ihren Lieferanten aktuelle Produkt Compliance-Dokumente für die einzelnen Lieferungen?
9Haben Sie eine Dokumentation für die Verpackung Ihrer Produkte?
10Sind Sie sicher, dass die Kennzeichnung Ihrer Produkte (Produkt, Verpackung, Bedienungsanleitung) vollständig und korrekt ist?
11Führen Sie Inspektionen während der Produktion Ihrer Produkte durch?
12Führen Sie ein Beschwerdebuch für Ihre Produkte?
13Haben Sie einen Produktrückrufplan für jedes Ihrer Produkte?
  

Als Antwortkategorien standen „ja“, „nein“ und „weiß nicht“ zur Verfügung, so dass die Fragen dieses Quick Checks in ca. 5 Minuten beantwortet werden konnte. Insgesamt haben 25 Unternehmen zwischen Juli und November 2019 an dieser Umfrage teilgenommen. Weitere Infos zum generellen Vorgehen finden Sie in den Studienergebnissen und weiter unten im Bereich „Weitere Informationen zum Untersuchungsdesign“.

Ergebnisse des Produkt Compliance Quick Checks

Wie schon erwähnt, würden viele Ja-Antworten darauf schließen lassen, dass in dem jeweiligen Unternehmen umfangreiche Maßnahmen zur Erfüllung der Produkt Compliance Vorschriften getätigt werden und dass Prozesse existieren, die die Erfüllung gesetzlicher Anforderungen sicherstellen. 

Das Ergebnis zeigt allerdings ein völlig anderes Bild: Insgesamt wurden deutlich weniger als die Hälfte aller Fragen von den teilnehmenden Unternehmen mit Ja beantwortet. 

Bild 1: Gesamtergebnis des Produkt Compliance Quick Check

Schlimmer noch: Keine der Einzelfragen wurde von den Unternehmen mit überwiegender Mehrheit mit „Ja“ beantwortet. Den Höchstwert erreichte die Frage „Überprüfen Sie die produktspezifischen Dokumente Ihrer Lieferanten?“ mit 56 %. Anders gesprochen bedeutet dies: 44 % der Unternehmen kontrollieren die Produkt Compliance Dokumente Ihrer Lieferanten überhaupt nicht, sondern legen diese – so unsere Erfahrung aus über 7 Jahren Beratungstätigkeit – einfach ungeprüft ab.

Da auch nur weniger als die Hälfte der befragten Unternehmen die Fertigung Ihrer Produkte überwachen (Frage 11: Inspektionen während der Produktion) und weniger als 30 % die Zusammensetzung Ihrer Produkte überhaupt kennen (Frage 1: BOM und BOS) ist das Risiko, nicht-konforme Produkte zu vertreiben, enorm groß (z.B. durch Verstöße gegen REACH oder RoHS).

Interessant ist auch die Tatsache, dass etwas mehr als 50 % der Unternehmen angeben, dass sie von Ihren Lieferanten Testberichte mit den aktuellen Normen erhalten (Frage 4). Gleichzeitig kennen sie die Normen aber nur zu 36 % (Frage 2) und haben sich im letzten Jahr auch nur zu 36 % über Änderungen informiert (Frage 3). 

Diese gleichzeitige Betrachtung verschiedener Fragen ist auch ein Hinweis darauf, dass man viele der anonymen „Ja“-Antworten kritisch hinterfragen sollte. So wissen wir aus vielen Kundenprojekten, dass sich etliche Unternehmen „gut aufgestellt fühlen“, bei näherer und intensiver Betrachtung aller Produkte und der installierten Prozesse aber einiger Raum für Verbesserungen herrscht. Ein „Ja“ zur Frage der „richtigen“ Produktkennzeichnung (Frage 10 – 52% Ja-Antworten) oder zur Dokumentation der Verpackung (Frage 9 – 40% Ja-Antworten) bedeutet nicht notwendigerweise, dass dies auch wirklich zutreffend ist.

Eliminiert man aus dem Gesamtergebnis die Unternehmen, die 11 oder mehr Fragen mit „Ja“ beantwortet haben (20 % der befragten Unternehmen), so sinkt die Gesamtzahl der positiven Antworten sogar noch einmal deutlich auf 34 %. Viele Einzelfragen landen bei deutlich weniger als 25 % Ja-Stimmen. Dies bedeutet: Nur jedes vierte Unternehmen der überwiegenden Zahl der Unternehmen kann Fragen, die auf eine rechtskonforme Gestaltung von Prozessen und Produkten hinweisen, mit Ja beantworten. Oder anders ausgedrückt: 75 % dieser Unternehmen erfüllen die Anforderungen nicht oder wissen nicht, ob sie diese erfüllen.  

Dass nur eines von sechs Unternehmen (16%) über einen Rückrufplan verfügt, zeigt zudem überaus deutlich, welche enormen Risiken in den Unternehmen schlummern. Ein Rückruf kann nach Studien der Allianz leicht Kosten in Höhe mehrerer Millionen Euro nach sich ziehen und ein Rückrufplan ist eine gesetzliche Verpflichtung. Ohne einen Rückrufplan weiß im Ernstfall die rechte Hand nicht was die Linke tut und das Unternehmen verliert in einer solch dramatischen Situation Zeit und Geld. Zudem beobachten Behörden – unserer Erfahrung nach – die Aktivitäten der Unternehmen sehr viel kritischer, wenn sie merken, dass die Unternehmen auf einen solchen Fall gar nicht vorbereitet sind. Auch werden potentielle Produktrückrufversicherungen von den Versicherern nur bei Vorliegen eines stimmigen Rückrufplanes gewährt und die Höhe der Prämien richtet sich (natürlich) nach der Art und Weise, wie ein Unternehmen im gesamten Produktions- oder Einkaufsprozess auf mögliche Produkt-Risiken und -Gefahren Einfluss nimmt.

Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus diesen Ergebnissen ziehen?

Aus der Gesamtschau der Ergebnisse kann man ableiten, dass dem Produkt Compliance Management in den meisten Firmen immer noch eine viel zu geringe Berücksichtigung geschenkt wird. Die Antworten lassen den Schluss zu, dass in vielen Unternehmen elementarste Tätigkeiten zur Erfüllung gesetzlicher Pflichten nicht oder nur unzureichend durchgeführt werden. Bei einer Überprüfung durch Behörden oder bei Aktionen von Mitbewerbern würde dies schnell offensichtlich und es käme voraussichtlich zu nicht unmaßgeblichen Bußgeldern, Verkaufsverboten oder gar Produktrückrufen. 

Dies ist insbesondere deswegen überraschend, da Compliance-Anforderungen aus anderen Bereichen ein immer stärkeres Gewicht in den Unternehmen einnehmen und gleichzeitig die Rechte der Verbraucher und der Schutz der Umwelt europaweit gestärkt werden. Auch sieht die neue Marktüberwachungsverordnung eine deutlich stärkere Kooperation der Behörden von Mitgliedsstaaten untereinander und mit den jeweiligen Zollbehörden vor. Zudem gehen Behörden nach eigener Aussage verstärkt dazu über, die Prozesse in den Unternehmen und nicht mehr nur die physischen Produkte in Augenschein zu nehmen. Hier drohen Unternehmen, die sich im Bereich Produkt Compliance nicht angemessen aufstellen, große und vor allem wachsende Gefahren von mehreren Seiten. 

Das Ergebnis bestätigt aber auch unsere Erfahrung aus über 50 Kundenprojekten. „In unseren Produkt Compliance Checks“, so Bernd Kasper, Geschäftsführer der trinasco GmbH, „ergibt sich in den ersten Runden regelmäßig, dass die Lieferanten unserer Kunden selten über mehr als 30-35 % der eigentlich notwendigen Dokumente verfügen. Viele Vorschriften, Gesetze oder Normen sind den Lieferanten schlichtweg nicht bekannt, sie arbeiten mit veralteten und falschen Anforderungen oder Normen, übermitteln unrichtige oder selbst erstellte Dokumente, haben in der Regel keinerlei Dokumentation für die Verpackungen der Produkte und liefern äußerst selten aktualisierte Dokumente für Serienprodukte oder Produktveränderungen. Erst in den Folgeprojekten entwickeln die betreffenden Lieferanten, auch durch unsere Erläuterungen und Schulungen, ein Verständnis für die umfangreichen europäischen Anforderungen und die Notwendigkeit einer konsequenten und frühzeitigen Übermittlung der notwendigen Prüfberichte und Zertifikate“.  

Letztendlich ist es Aufgabe der Geschäftsleitung, den Anforderungen aus dem Bereich Produkt Compliance einen höheren Stellenwert beizumessen und Ressourcen und Systeme für eine adäquate Kontrolle und eine nachvollziehbare Dokumentation bereitzustellen. Natürlich erfordert ein stringentes Produkt Compliance Management zunächst einen gewissen Aufwand und auch ein gewisses Budget. Darüber hinaus sind kompetente Mitarbeiter für diesen Bereich Mangelware und nicht einfach an sich zu binden (Mehr Informationen zur Organisation von Produkt Compliance im Unternehmen finden Sie hier). 

Aber: Wenn Unternehmen die erste Bugwelle erfolgreich gemeistert haben, die richtigen Prozesse definiert und mit den Lieferanten vereinbart sind, ist die langfristige Einhaltung der Produkt Compliance-Vorschriften kein unüberwindbares Hindernis. Selbst bei breiten Sortimenten lassen sich risikobasierte Ansätze finden, das Produkt Compliance-Risiko Schritt für Schritt zurückzufahren. Vor allem ist es aber, gerade vor dem Hintergrund steigender Nachhaltigkeitsdiskussionen, verschärfter Regulierungen und der persönlichen Haftung der Geschäftsführung eine langfristig sehr sinnvolle Investition.  

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Dr. Hartmut Voss
Dr. Hartmut Voss ist Gründer und Geschäftsführer der trinasco GmbH und Experte für Produkt Compliance Management. Er hat bei führenden internationalen Unternehmen wie Pepsi-Cola, Sony und Nokia gearbeitet und erfolgreich diverse Marketing-, Vertriebs- und General Management-Funktionen übernommen. Unter anderem leitete er eine europäische Business Unit, die Produkte mit asiatischen Lieferanten entwickelte, produzierte und in Europa vermarktete.

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