„Ach, unsere Produkte sind ja nicht so gefährlich.“ „In den Behörden gibt es doch viel zu wenig Leute.“ „So schlimm wird die neue Marktüberwachungsverordnung schon nicht sein.“ – Solche und ähnliche Sätze fallen immer mehr in Diskussionen und Foren rund um den E-Commerce. Die neue Marktüberwachungsverordnung hat bei vielen Händlern, Importeuren und Herstellern Panik verbreitet. Doch können die Auswirkungen wirklich so dramatisch sein?
Etwas unter dem Radar und wenigen bekannt agiert seit zwei Jahren die CASP, eine Initiative der EU. Dies zeigt: Die Auswirkungen können dramatisch für die beteiligten Unternehmen sein. Denn ein wichtiger Punkt in der neuen Marktüberwachungsverordnung ist, dass die Behörden stärker zusammenarbeiten. Wenn die Zusammenarbeit und die Kommunikation zwischen den Behörden stärker ist, können Produkte, welche nicht den Anforderungen entsprechen, besser von allen europäischen Märkten entfernt werden. Die CASP unterstützt diese Zusammenarbeit.
CASP steht für Coordinated Activities on the Safety of Products (Koordiniertes Handeln für Produktsicherheit) und hat sich als Ziel gesetzt, einen sicheren Binnenmarkt zu gewährleisten und Verbraucher*innen zu schützen.
Die Initiative vereint Marktüberwachungsbehörden aus der Europäischen Union und dem Europäischen Wirtschaftsraum, u.a. Österreich, Belgien, Bulgarien, Kroatien, Zypern, Tschechische Republik, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Island, Irland, Lettland, Luxemburg, Malta, Portugal, Norwegen, Slowenien, Slowakei, Spanien und Schweden.
Diese prüfen gemeinsam auf dem Binnenmarkt eingeführte Produkte, ermitteln die Risiken und legen gemeinsame Positionen und Verfahren fest. Durch die Initiative wird auch der Austausch gefördert sowie die Erarbeitung gemeinsamer Konzepte, Methoden und Ideen.
Pro Jahr gibt es ein Projekt (im letzten Jahr CASP 2020), wobei die Projekte jeweils unterschiedliche Schwerpunkte haben. Diese werden durch eine von der Europäischen Kommission durchgeführten Konsultation festgelegt. Beim Projekt CASP 2020 lag ein Schwerpunkt auf der Produktsicherheit im Onlinehandel. Nicht nur durch die Pandemie stieg der Umsatz im Onlinehandel massiv an. Hierdurch erhöhte sich auch die Menge an direkten Lieferungen von Produkten asiatischer Hersteller über diverse Online-Marktplätze.
Die Schwerpunkte der CASP-Projekte beziehen sich zum einen auf produktspezifische, zum anderen auf horizontale Aktivitäten, die zum aktuellen Zeitpunkt neu und/oder brisant sind. Im Jahr 2020 ging es auf der Produkt-Ebene um Nitrosamine in Spielzeugen, Spielgeräte im privaten Außenbereich, Kinderbettnestchen, Beistellbetten und Schlafsäcke, Kabel, kleine Küchengeräte und Kinderautositze.
Auf horizontaler Ebene lag der Schwerpunkt auf der Risikobewertung, der Zusammenarbeit mit den Zollbehörden, der Effizienz von Rückrufaktionen und der Verletzungs- und Unfallerfassung in der EU. Der Online-Bereich des Projekts fokussierte sich auf gefährliche Metalle in Schmuck, die Online-Marktüberwachung und eine Informationskampagne für Verbraucher*innen und Wirtschaftsakteure.
Die CASP umfasst drei Ebenen:
Die CASP ist eine Initiative verschiedener Organisationen, welche das Ziel haben, Verbraucher*innen besser zu schützen. Als Auftraggeber fungiert die Europäische Exekutivagentur für den Innovationsrat und für KMU (EISMEA, früher CHAFEA). Koordiniert werden die Projekte durch die GD JUST, finanziert durch die Europäische Kommission.
Die wichtigsten Teilnehmer sind die Marktüberwachungsbehörden aus EU und EWR (37 Behörden aus 21 verschiedenen Staaten) sowie technische Fachkräfte, welche Analysen der Ergebnisse durchführen und beratend zur Seite stehen. Im letzten Jahr wurde das CASP-Projekt vollständig digital durchgeführt, einschließlich der Labortreffen. Dieses Vorgehen ermöglichte die Teilnahme von mehr Vertreter*innen der Behörden an den Projekttreffen, was ein hohes Niveau dieser Treffen zur Folge hatte.
Die CASP untersuchte im Jahr 2020 insgesamt 507 Proben aus den Bereichen Spielzeug (218 Proben), Spielgeräte (60 Proben), Baby-Schlafutensilien (60 Proben), Kabel (71 Proben), Küchengeräte (91 Proben) und Kinderautositze (5 Proben).
Die Ergebnisse waren in manchen Bereichen verheerend. Durchschnittlich entsprachen 70% der getesteten Produkte den Anforderungen nicht. Schaut man sich die genauen Ergebnisse an, ist das Ergebnis noch erschreckender, vor allem im Bereich Kinderprodukte und Babyartikel.
Am wenigsten schlecht schnitten bei den getesteten Produkten Kabel (USB-Kabel und Kabel für Laptops und Tablets) ab. Hier entsprachen nur 23% der Produkte nicht den Anforderungen. Es folgen Kinderautositze mit 43% . Dieses Ergebnis ist in Anbetracht der Tatsache, dass es sich hier um ein Produkt handelt, das über Leben und Tod eines Kindes bei einem Unfall entscheiden kann, höchst dramatisch.
Auf Platz 3 landeten kleine, sich aufheizende Küchengeräte, bei denen nur 37% den Anforderungen entsprachen, und somit 63% im Test durchfielen. Auch dieses Ergebnis kann verheerende Folgen haben, da ein explodierendes Küchengerät schnell die ganze Küche in Brand setzen kann. In 80% der getesteten Spielzeuge konnten Nitrosamine nachgewiesen werden. Die Spielgeräte für den privaten Außenbereich schnitten nicht viel besser ab, hier entsprachen 79% der getesteten Proben nicht den Anforderungen.
Das dramatischste Ergebnis zeigen Babynester, Beistellbetten und Kinderschlafsäcke. In diesem Bereich entsprechen nur 3% der Produkte den Anforderungen, 97% erfüllten nicht die für diese Produktgruppe bestehenden Vorschriften. Auch hier handelt es sich – wie bei den Kindersitzen – um Produkte für Babys und Kleinkinder, welche natürlich unbedingt allen Sicherheitsanforderungen genügen sollten.
Beim Spezial-Bereich CASP online wurde das Auftreten von gefährlichen Metallen in Schmuck getestet. Hierfür nahmen sich die Behörden 179 Produkte aus dem Bereich Schmuck für Kinder und Erwachsene vor.
Auftretende Gefahren sind z.B., dass allergische Reaktionen auftreten oder gefährliche Metalle aufgenommen werden können. Insgesamt entsprachen 63% der getesteten Produkte den Anforderungen, 37% fielen in den Tests durch.
Die CASP empfiehlt, Schmuck vor dem Zubettgehen abzulegen und Kinder nicht unbeaufsichtigt zu lassen, sodass diese den Schmuck nicht in den Mund nehmen können.
Die Ergebnisse der CASP 2020 wurden in das sogenannte Safety Gate der europäischen Union überführt. Über das Safety Gate (das auch unter dem Namen RAPEX-Liste bekannt ist) informieren sich die Behörden der Mitgliedsländer gegenseitig über gefährliche Produkte. Produkte, die mit Verkaufsverboten oder sogar Produktrückrufen in einem Land belegt werden, müssen dann auch in den anderen Ländern vom Markt genommen (oder entsprechend verändert) werden.
Bei der Entwicklung der RAPEX-Liste sind nicht nur die Anzahl der Warnmeldungen (alerts), sondern auch die durch andere Mitgliedsländer ergriffenen behördlichen Maßnahmen (Follow-up Actions) zu betrachten. Diese können von Verkaufsverboten über Produktrückrufe bis hin zur Vernichtung der Ware auf Kosten der zuständigen Hersteller, Importeure und Handelsunternehmen reichen.
In der folgenden Tabelle sehen Sie die Entwicklung der alerts und Follow-up Actions in der europäischen Union in den letzten drei Jahren.
Während die Anzahl der alerts ähnlich geblieben ist, hat sich die Anzahl der Follow-up Actions in den letzten zwei Jahren um 33% erhöht. Dieser Anstieg könnte dabei in Zusammenhang mit der Arbeit der CASP gebracht werden. Wir schließen daraus, dass durch deren Aktivitäten und die stärkere Vernetzung der Behörden der Mitgliedsstaaten, die auch in der neuen Marktüberwachungsverordnung definiert sind, auf Meldungen in einem europäischen Land häufiger und schneller in den anderen europäischen Ländern reagiert wird.
Aktuell läuft bereits das Projekt CASP 2021, dessen Ergebnisse Mitte 2022 – nach Abschluss der Untersuchungen – vorgestellt werden.
Die Schwerpunkte liegen bei diesem Projekt auf
Hersteller, Importeure, Handelsunternehmen und Fullfilment-Dienstleister sollten sich im Klaren darüber sein, dass die europäischen Marktaufsichtsbehörden schon viel enger zusammenarbeiten als noch vor weniger Jahren für möglich gehalten. Und sie sollten dem Produkt Compliance Management und den europäischen Produktsicherheitsanforderungen eine deutlich höhere Priorität einräumen, um große finanzielle Schäden zu vermeiden.