Über 40 gefährliche Produkte pro Woche – Safety Gate-Meldungen erreichen 2022 neuen Höchststand.

Inhaltsverzeichnis

Im Safety Gate der europäischen Union werden wöchentlich gefährliche Produkte gemeldet, die von den europäischen Behörden an der Grenze gestoppt, vom Markt genommen oder sogar bei Endkonsumenten zurückgerufen werden müssen. Das auch unter dem Namen Rapex-System bekannte Safety Gate ist das europäische Informationsaustausch-System, über das sich die Marktaufsichtsbehörden der Mitgliedsländer gegenseitig über gefährliche Produkte informieren. Wenn Produkte in einem Mitgliedsstaat als gefährlich oder schädlich eingestuft werden, nehmen die nationalen Marktaufsichtsbehörden dies in der Regel zum Anlass, die Produkte auch in diesen Ländern vom Markt zu nehmen.

Wie viele Rapex-Meldungen gab es in den letzten vier Jahren?

Wir haben die Daten der letzten vier Jahre ausgewertet und kommen zu sehr interessanten Ergebnissen:

Im Jahr 2022 erfolgten insgesamt 2233 Warnmeldungen auf dem Safety Gate. Blickt man auf die vergangenen Jahre seit 2019 zurück, ist festzustellen, dass dies die bisher größte Zahl an jährlichen Warnmeldungen ist.

Pro Woche wurden im Jahr 2022 im Schnitt 43 Meldungen gemacht gegenüber 40 Meldungen im Vorjahr:

Abbildung 1: Meldungen gefährlicher Produkte im Safety Gate 2019 – 2022
Quelle: eigene Darstellung, Graphik auf Basis:
https://ec.europa.eu/safety-gate-alerts/screen/search?resetSearch=true

Welche Produktgruppen waren besonders betroffen?

Schaut man sich die betroffenen Produktgruppen an, so stammten im Jahr 2022 mit Abstand die meisten gemeldeten Produkte aus dem Bereich Spielzeug. Auch Kraftfahrzeuge nahmen, wie auch im Vorjahr, einen beachtlichen Anteil der Warnmeldungen ein, es waren jedoch deutlich weniger als Spielzeuge.

Zählt man zu den Spielzeugen auch die Rubriken Babyartikel und Kinderbedarf sowie Bekleidung, Textilien und Modeartikel hinzu – hierbei geht es oft um Kinderkleidung mit der Gefahr des Erstickens oder Modeartikel für Kinder, die gefährliche Chemikalien enthalten -, so ergibt sich hierdurch ein Anteil von fast 40 % an Produkten, die vor allem von Kindern benutzt werden.

Knapp 40 % der Produkte sind also insbesondere gefährlich für Kinder und hierauf legen die europäischen Marktaufsichtsbehörden zu Recht ein immer stärkeres Gewicht. Das sieht man auch anhand des starken Anstieges seit dem vergangenen Jahr 2021, wo es noch 30 % waren.

Abb. 2: Einfuhr eines Stiftetuis an der Grenze abgelehnt
Quelle: eigene Darstellung, Graphik auf Basis:
https://ec.europa.eu/safety-gate-alerts/screen/webReport/alertDetail/10007396?lang=en

Deutlich zu sehen ist der Rückgang der Meldungen zu persönlicher Schutzausrüstung. In den letzten zwei Jahren der Pandemie war die Zahl der Meldungen zu Atemschutzmasken rapide angestiegen, ging nun aber erstmalig wieder zurück, und zwar gleich um fast die Hälfte.

Waren 2021 noch 7,6% der Warnmeldungen dem Bereich der persönlichen Schutzausrüstung zugehörig, so waren es im Jahr 2022 nur noch 4 %. Dies lässt sich mit der gestiegenen Impfrate und der Lockerung der Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus europaweit in Zusammenhang bringen. So haben viele europäische Länder, wie auch einige deutsche Bundesländer, die Maskenpflicht bereits vollständig abgeschafft. Demzufolge ist auch der Bedarf an Atemschutzmasken innerhalb der EU zurückgegangen.

Welche Gefahren bergen die gefährlichen Produkte?

An erster Stelle der Gefahren stehen im Jahr 2022 Chemikalien. Die meisten Produkte in dieser Kategorie (oft auch Spielzeuge) enthielten nicht erlaubte giftige Substanzen (z.B. PAKs, Phthalate, Blei, Cadmium, Nickel, …) in viel zu hohen Konzentrationen. Das zweitstärkste Risiko betraf im Jahr 2022 das Ersticken/blockierte Atemwege – auch hierbei gab es einen leichten Anstieg. Von diesem Risiko betroffen sind in erster Linie ebenfalls Babys und kleine Kinder.

Im vergangenen Jahr waren zudem allgemeine Verletzungen, die aus verschiedenen Gründen herrühren können und verschiedenste Produkte betreffen können, sehr bedeutend. Der Anteil an Meldungen aufgrund eines allgemeinen Verletzungsrisikos ist zwar leicht zurückgegangen, sie stehen jedoch immer noch an dritter Stelle.

Abbildung 3: Gefahren durch kritische Produkte im Jahr 2022
Quelle: eigene Darstellung, Graphik auf Basis:
https://ec.europa.eu/safety-gate-alerts/screen/search?resetSearch=true

Risiko Nr. 4 und 5 waren Feuer und elektrische Schläge, die oft gleichzeitig bei elektrischen Produkten auftauchen und in der Regel durch fehlerhafte Konzeption und/oder Produktionsmängel verursacht werden. Betroffen hiervon waren nicht nur Küchengeräte, Lichterketten oder Ladegeräte, sondern auch Elektroroller, Adapter, Massagegeräte, u.v.m.
Auch Umweltrisiken sind seit 2021 leicht angestiegen, stehen jedoch noch immer hinter dem Risiko durch Feuer und elektrischen Schlag.

Wo kommen die gefährlichen Produkte her?

Abbildung 4: Herkunftsländer der gefährlichen Produkte im Jahr 2022
Quelle: eigene Darstellung, Graphik auf Basis:https://ec.europa.eu/safety-gate-alerts/screen/search?resetSearch=true

Aufgrund der globalen Beschaffungsaktivitäten der Unternehmen und der aktuellen Markt- und Produktionssituation ist es nicht überraschend, dass fast jedes zweite der gefährlichen Produkte aus der Volksrepublik China stammt (49,8%). China ist dieses Jahr sogar noch etwas stärker als Herkunftsland gefährlicher Produkte vertreten als noch in den letzten drei Jahren und steht damit nach wie vor ganz vorn.

Auffallend ist zudem, dass die Zahl an Meldungen von gefährlichen Produkten aus unbekannten Herkunftsländern leicht angestiegen ist. Geht man davon aus, dass auch von den „unbekannten“ Produkten 50% aus China stammen, stammen zwei von drei gefährlichen Produkten aus der Volksrepublik.

Die Zahl der Warnmeldungen mit Produkten aus Deutschland ist 2022 genau um die Hälfte gesunken und beträgt derzeit nur noch 5,4 %. Dennoch steht Deutschland noch an Platz 3, was aber maßgeblich damit zusammenhängt, dass Deutschland ein großer Produzent von Kraftfahrzeugen ist und diese Produktkategorie eine der meisten Meldungen auf sich vereint, direkt nach den Spielzeugen.

Neben China, Unbekannt und Deutschland sind die größten Herkunftsorte gefährlicher Produkte Frankreich und die Türkei, gefolgt von den USA und Italien. Der Anteil dieser Länder ist aber mit 4,0 %, 4,0%, 2,5 % und 2,3 % prozentual recht gering.

Welche Länder melden die meisten gefährlichen Produkte?

Abbildung 5: Rapex-Meldung der einzelnen Mitgliedsländer 2019 – 2022
Quelle: eigene Darstellung, Graphik auf Basis:
https://ec.europa.eu/safety-gate-alerts/screen/search?resetSearch=true

Analysiert man die einzelnen Meldungen pro Mitgliedland, so ist erkennbar, dass Deutschland mit 449 Warnmeldungen im Jahr 2022 mit Abstand die meisten gefährlichen Produkte in das Safety Gate eingestellt hat, gefolgt von Frankreich mit 205 Meldungen. Im Jahre 2020 war das Vereinigte Königreich ebenfalls noch sehr aktiv, in 2021 hatte dies schon rapide abgenommen und im Jahr 2022 waren schließlich so gut wie keine Meldungen mehr erfolgt. Dies lässt sich natürlich auf den Brexit zurückführen.

Neben den beiden bevölkerungsstarken Ländern Deutschland und Frankreich waren im Jahr 2022 auch Polen, Ungarn und Schweden sehr aktiv und meldeten jeweils zwischen 150 und 200 gefährliche Produkte. Während diese drei Länder jedoch auch schon im Vorjahr recht viele Warnmeldungen veröffentlichten, sind Litauen und Tschechien 2022 als meldungsstarke Länder hinzugekommen. Beide Länder machten im Jahr 2022 ca. doppelt so viele Warnmeldungen wie noch 2021. Länder wie Spanien, Portugal und Griechenland melden demgegenüber verhältnismäßig wenige Produkte im Safety Gate der Europäischen Union.

Wie aktiv sind die Mitgliedsländer bei der Marktüberwachung?

Es scheint offensichtlich, dass bevölkerungsstarke Länder wie Deutschland, Frankreich oder Polen absolut mehr Produkte als gefährlich melden als die viel kleineren Länder wie Lettland, Luxemburg oder Zypern. Wie verhält es sich aber, wenn man die Größe der Bevölkerung in diese Betrachtung einbezieht und die Meldungen pro 1 Mio. Einwohner betrachtet? Hier zeigen sich sehr interessante Ergebnisse:

Abbildung 6: Meldung gefährlicher Produkte pro 1 Mio. Einwohner 2022 (Mittelwerte gestrichelt)
Quelle: eigene Darstellung, Graphik auf Basis:
hhttps://ec.europa.eu/safety-gate-alerts/screen/search?resetSearch=true

Im Durchschnitt haben die europäischen Mitgliedsländer im Jahr 2022 insgesamt ca. 4,3 Produkte pro 1 Mio. Einwohner als gefährlich gemeldet (Basis: Bevölkerungszahl pro Mitgliedland am 1.1.2020 lt. Eurostat – in der Abb. 6 gekennzeichnet durch die blaue Linie). Deutschland liegt mit einem Faktor von 5,4 etwas über diesem Durchschnittswert. Spitzenreiter in dieser Betrachtung ist Luxemburg mit 73,5 Meldungen pro 1 Mio. Einwohner. Ebenfalls außerordentlich aktiv sind Länder wie Malta (60,2), Litauen (44,0) und Zypern (40,5).

Gar nicht oder kaum aktiv sind hingegen Italien (0,85), Griechenland (0,75) und Spanien (0,23). Unterdurchschnittliche Werte erzielen aber auch Portugal (2,53, die Niederlande (2,64) und, etwas überraschend, Frankreich (3,06). Wenn man davon ausgeht, dass auf den Märkten in Spanien, Italien oder Griechenland ähnlich unsichere Produkte vermarktet werden wie in den übrigen Ländern der EU, so ist kaum nachvollziehbar, dass in diesen Ländern so gut wie keine gefährlichen Produkte gefunden und in das Safety Gate eingestellt werden.

Welche Risiken bestehen für Unternehmen, wenn Ihre Produkte im Safety Gate auftauchen?

Wenn in einem Mitgliedsland ein Produkt als gefährlich eingestuft und mit einem Verkaufsverbot oder mit einem Produktrückruf belegt wird, reagieren die Marktaufsichtsbehörden in anderen Mitgliedsstaaten in der Regel recht zügig. Oft kommt es vor, dass in den Safety Gate Meldungen für ein Produkt bereits festgehalten ist, welche anderen Mitgliedsstaaten ebenfalls entsprechende Maßnahmen für dieses Produkt erlassen haben.

Hinzu kommt, dass insbesondere große Handelskonzerne die Meldungen im Safety Gate intensiv beobachten und bei Meldungen sehr schnell reagieren. Oft werden dann nicht nur die betroffenen Produkte eines Lieferanten sofort gesperrt und auf Kosten des Lieferanten zurückgeschickt, sondern auch andere Produkte des Lieferanten sehr kritisch gesehen. Da die Rapex-Meldungen zudem sehr lange im System bleiben und auch nach Jahren noch präsent sind, besteht für die betroffenen Unternehmen ein immenser Imageschaden.

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Dr. Hartmut Voss
Dr. Hartmut Voss ist Gründer und Geschäftsführer der trinasco GmbH und Experte für Produkt Compliance Management. Er hat bei führenden internationalen Unternehmen wie Pepsi-Cola, Sony und Nokia gearbeitet und erfolgreich diverse Marketing-, Vertriebs- und General Management-Funktionen übernommen. Unter anderem leitete er eine europäische Business Unit, die Produkte mit asiatischen Lieferanten entwickelte, produzierte und in Europa vermarktete.

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